Tischbombe
Ein Streifzug durchs «Farbeland» macht schnell klar, dass man es hier mit Vollblutmusikern zu tun hat. Kein künstlich aufgezogenes Retortenprodukt oder Songs, deren Harmonien zusammengeschustert wurden, um auf Kommando zu gefallen. Nelly Gyimesi schreibt Musik aus dem Bauch heraus, die Kindern direkt in Ohr, Bein und Herz geht und Erwachsene genauso erfreut. Kaum verwunderlich, denn hinter der authentischen Zürcherin mit ungarischen Wurzeln stehen gestandene Profis, die unter anderem auch mit James Gruntz oder Hecht musizieren.
Doch auch die Zeit hat das ihrige dazu beigetragen: Das Quartett existiert seit rund sechs Jahren, ist bereits zwei Alben alt und darf auf grössere Konzerte zurückschauen. So begeisterten Nelly und ihr Gefolge vor fünf Jahren über 3000 Zuschauer am Lilibiggs Frühlingsfestival im Zürcher Hallenstadion oder tauften ihre zweite Scheibe «Uf grosser Fahrt» vor 1000 Zuschauern im Zürcher Volkshaus. «Schon unglaublich, was in den letzten Jahren alles gegangen ist», staunt die umtriebige Musikerin und Sängerin heute. Was an einem sommerlichen Schulfest 2010 seinen Anfang nahm, ist mittlerweile bereits eine kleine Institution in der Schweizer Musiklandschaft und ein Begriff für Hunderte Familien hierzulande. «So cool, als wir unseren ersten Live-Auftritt an der Schule meines Sohnes hatten, standen erst drei Demosongs.
Nun dürfen wir uns auf die Plattentaufe des dritten Albums freuen», strahlt Nelly. Und die Freude ist berechtigt. Mit «Farbeland» veröffentlicht die Tischbombe das wohl bunteste und musikalisch diverseste Album des bisherigen Band-Schaffens. Ob Chanson, Reggae, Jazz oder Pop – den 14 Songs setzte Nelly keine Grenzen. Auch thematisch nicht. Die Sängerin nimmt den Zuhörer an der Hand, führt ihn kurz vor Urlaubsbeginn in ein vollgepacktes Schulzimmer («Summerferie»), zeigt ihm ein facettenreiches Zürich («Tram») oder zerrt ihn in eine dunkle Pyramide, um angsteinflössenden Mumien beim Tanzen zu beobachten («Mumie»). Bei all den musikalischen Exkursionen fällt vor allem eines auf: Die Tischbombe vergreift sich nie im Ton. Alles sitzt. Jede Stimmung hat ihren Platz – ob melancholisch, verspielt, himmelhoch jauchzend oder verträumt. Zu verdanken ist dies vor allem Severin Graf (James Gruntz), der die 14 Perlen auf «Farbeland» arrangierte, produzierte und ihnen einen Anstrich von Welt verpasste. Nicht selten hat man deshalb das Gefühl, Nelly Gyimesi würde den Globus bereisen, um ihr Songmaterial zusammenzutragen. Dem ist aber nicht immer so. Der Geburtsort vieler musikalischer Ergüsse ist ein ruhiger und unspektakulärer Park am Rande Zürichs: «Eigentlich lustig. In diesem von aussen unscheinbaren Park in Züri West hatte ich bereits unzählige Songideen während vieler Spaziergänge mit meinem Hund», sagt das musikalische Multitalent, das sowohl Ukulele wie aber auch Klavier spielt. Ein pures Schweizer Produkt ist «Farbeland» trotzdem nicht. Die CD hat ihren Ursprung zwar hierzulande und entstand in Severin Grafs Homestudio oder in den Powerplay Studios in Maur, diverse Songs nahmen jedoch noch einen Unweg über Ungarn. Etwa «Sternschnuppe» oder «Schutzengel» – ohne den Abstecher nach Osteuropa wären die beiden Balladen kaum derart reich an Streichern, wie sie es jetzt ist. Definitiv zwei der schönsten Songs auf «Farbeland» und grosse Lieblinge vieler Kinder.
Überhaupt darf man sich darauf gefasst machen, dass eine Tischbomben-CD im Kinderzimmer auf Heavy Rotation läuft. Wer einmal in Nellys Bunte Welt eingetaucht ist, entkommt dieser so schnell nicht wieder. Songs brennen sich einem in die Gehörgänge, Melodien hallen noch lange nach und animieren oft vor allem die ganz Kleinen, selbständige Tänze zu entwickeln. Das soll so sein: «Das Merkmal unserer Songs ist es, dass man die Lieder unverzüglich mittanzen will,» meint Nelly. Tatsächlich kennt die eingefleischte Tischbomben-Fanschar denn auch sämtliche Tanzchoreografien. Wer jemals an einem Konzert war, dürfte sich an aberherzige Momente erinnern, welche wohl selbst Nelly und die erfahrenen und bühnenerprobten Musiker nie vergessen werden. Mit dem bevorstehenden Release von «Farbeland» und der darauffolgenden Clubtour im Herbst dürfte sich also eine neue Gelegenheit bieten, unvergessene Momente zu kreieren und zig abenteuerliche Streifzüge durch unentdeckte und farbige Welten zu unternehmen.
Tischbombe
– Nelly Gyimesi, Gesang, Ukulele, Piano
– Carola Wirth / Gesang, Ukulele, Akkordeon
– Severin Graf / Schlagzeug, Bass, Gitarre
– Daniel Gisler / Piano