Sleepyhouse
Durch einen verwunschenen Garten betritt man es, dieses Sleepyhouse, und auf selbem Weg verlässt man es wieder. Es ist die Tristesse, die einen umweht, die leise Melancholie eines vor langer Zeit aufgegebenen Varietés. Im Halbdunkeln an Kostümen und Requisiten und allerlei rätselhaften Utensilien vorbei gelangt man in den Zuschauerbereich und nimmt Platz, der Vorhang hebt sich und auf einmal stehen sie da vor unserem geistigen Auge – die endlosen staubigen Strassen und der alte Bluesman, der vom Schmerz, Verlust und Verschwinden, vom Unverstandensein erzählt und alles im Wein ertränkt oder im Whiskey, der vom Mond tropft; orientierungslose Seemänner, Huren und Heilige und der Ford Thunderbird, die Jungs mit den Schmalztollen und dem Hall auf dem Mikrofon und Mr. Snow, dem man besser nicht zu Nahe kommt. Zuweilen fällt man durch die Zeiten und steigt wieder auf, von Elvis’ ruhmreichen Tagen über den Aufbruch Neil Youngs zu dem überraschenden Erscheinen Norah Jones am Beginn eines neuen Jahrtausends. Und jedes Mal ist es ein wenig anders, wie in einem Kaleidoskop, das nie das gleiche Bild zweimal zeigt.
Mit dem Debütalbum Sleepyhouse löst der Luzerner Sänger, Gitarrist und Songwriter Remo Albisser eine reiche Assoziationskette aus, die sich aus Filmen, Romanen und dem Songerbe amerikanischer Folkmusik speist. Einem fahrenden Schüler gleich bewegt er sich durch die Traditionen, schnappt an jeder Strassenecke etwas auf und verwandelt es sich mit der unverfälschten Intuition des Autodidakten an. Begleitet wird er dabei von drei ausgefuchsten, in allen Stilrichtungen beschlagenen Musikern – es groovt, es swingt, es treibt unermüdlich voran, mal nachlässig-elegant, dann wieder in gedankenverlorenen, weit ausholenden Schritten. In das quecksilberne, transparente Klangbild von akustischer und elektrischer Gitarre, Piano und Kontrabass weben sich die Klänge von Akkordeon und Harmonium, sanft fluoreszierende Backing Vocals oder die clowneske Zärtlichkeit der Tuba und verleihen den Songs eine ungeheure Farbigkeit.
Einen ganz besonderen Zauber übt die Musik von Sleepyhouse auch deshalb aus, weil sie sich durch mehrmaliges Hören nicht etwa abnutzt, sondern an Nuancen gewinnt, Neues offenbart, Bekanntes vertieft. Das mag zum einen an den ausgeklügelten Arrangements und dem stupenden Können der Musiker, vor allem aber an Albisser selbst liegen, der sich nicht scheut vor der grossen Geste, dem Weltschmerz, dem Scheitern auch, wenn er etwa Gitarre und Gesang in einem Zug mit der Band einspielt. Dadurch gesteht er, um es mit Oscar Wilde zu sagen, der Musik zu, ihre letzten Geheimnisse zu bewahren, vor dem Hörer, aber auch vor den Musikern selbst.