Artikel über Simon Spiess, anlässlich seiner neuen CD “After All”
Vom schönsten Beruf der Welt
Der Oltner Saxofonist Simon Spiess lebt und arbeitet seit drei Monaten in Berlin, auch dank dem „Förderpreis Musik“ des Kantons Solothurn. Nun legt er mit seinem Trio die neue CD „After All“ vor und erzählt von seinen Erfahrungen in Berlin und dem schönsten Beruf der Welt.
Von Silvano Luca Gerosa
Er ist noch ganz der alte, so wie man ihn kennt. Die Rede ist vom Oltner Saxofonisten Simon Spiess, der an dieser Stelle auch schon portraitiert wurde. Seine gepflegte, immer sehr stilbewusste äussere Erscheinung erinnert mehr an einen Existenzialisten als an das gängige Bild eines Jazzmusikers. Auch im Gespräch gibt sich Spiess stets überaus freundlich und wählt seine Worte überlegt.
Bereits die ersten Takte der neuen CD „After All“ – der Titel ist übrigens eine Anspielung auf das gemeinsam Erlebte und Erarbeitete – seines Trios verdeutlichen, dass da ein junger, selbstbewusster Musiker sehr souverän und mit der nötigen Portion Selbstvertrauen agiert. Er eröffnet nämlich das Titelstück der CD solo: Da ist sie, diese einem sofort einnehmende Magie des vollen, kräftigen und mit einer Portion subtiler Erotik gespickten Sounds seines Tenorsaxofons, das Spiess auch mal bewusst und Mark durchdringend überbläst. Dann folgen die sphärischen und in ihrer Wirkung besänftigenden Akkorde der Gitarre (gezupft von Gastmusiker Gabriel Beuerle) und die wunderschöne Ballade sucht einem mäandrierenden Fluss vergleichbar, ihren Lauf. Das ist grosse Kunst – und wird in dieser gereiften Ausprägung nur in Ausnahmefällen von einem bald erst 26-jährigen Jazzmusiker geschaffen.
Wer Simon Spiess kennt, kann dies trotzdem sofort nachvollziehen. Der talentierte Musiker, der in Aarburg aufgewachsen ist und an der Hochschule für Musik Basel (Abteilung Jazz) studiert hat, ist ehrgeizig und realisiert seine Projekte (und Träume) zielstrebig. Deshalb wurde er letztes Jahr mit dem begehrten „Förderpreis Musik“ des Kantons Solothurn belohnt. Spiess erklärt, dass er mit seiner Musik eine wortlose Geschichte erzählen möchte und dass die Adressaten aufmerksam zuhören sollen und dabei auch ein wenig provoziert würden. Deshalb habe er sich für die anspruchsvolle Triobesetzung ohne ein Akkorde spielendes Harmonieinstrument entschieden. Wer „After all“ – eine durchaus anspruchsvolle und fordernde CD – einige Male angehört hat, wird dann darin auch ein Bijou erkennen.
Seit drei Monaten lebt Spiess nun im Berlin und ist von diesem kulturellen Hotspot fasziniert. Er bewohnt eine kleine Einzimmerwohnung, in der neben der Matratze nur gerade das Fender Rhodes E-Piano steht, auf welchem er zu jeder Tages- und Nachtzeit – je nach Inspiration – komponiert. Viele Stücke der neuen CD sind in Berlin entstanden.
Daneben spielt Spiess häufig an Jam Sessions, weil dies fast der einizige Weg sei, neue Musiker kennenzulernen und sich zu etablieren. Eigentlich mag Spiess dieses musikalische Ausziehen auf der Bühne (meist vor einem mehrheitlich aus Musiker bestehenden Publikum) gar nicht. Er erzählt, wie er von der Bühne aus plötzlich den weltbekannten Gitarristen Kurt Rosenwinkel im Publikum ausmachen konnte – da habe er sich gesagt „Simi, jetzt musst du aber alles geben“. Auch wenn Musiker in Berlin im Idealfall vielleicht 40-60 Euro pro Abend verdienen und das Leben als Jazzmusiker nicht nur anstrengend (viele Tourneen und gestiegener administrativer Aufwand) ist, sondern eher einem täglichen Überlebenskampf gleicht, so erklärt Spiess mit ebenso strahlenden wie von Tatendrang gezeichneten Augen, dass es trotzdem der schönste Beruf der Welt sei, den er mindestens im jetztigen Lebensabschnitt um nichts tauschen möchte. Ja, es ist dieses sich so klar manifestierende feu sacré, das den Oltner Saxofonisten charakterisiert, antreibt und eine grossartige Zukunft verspricht.
Neue CD und Taufe:
Die neue CD „After All“ des Simon Spiess Trios (mit Marco Nenniger am Kontrabass und Daniel Mudrack an den Drums sowie den Gästen Gabriel Beuerle an der Gitarre und Sängerin Julia Pellegrini) erscheint auf dem Deutschen Label Meta Records und wird am 17. Januar 2013 um 21 Uhr im Jazzclub Aarau getauft. Für weitere Informationen, auch zu den zahlreichen Konzerten (u.a. im Rahmen des Festivals Suisse Diagonales 2013) findet man unter www.simonspiess.com).
Text und Foto, 6. Januar 2013, Silvano Luca Gerosa, Sisseln.