Auf seinem dritten Album umarmt der Mundartrapper die musikalische Vielseitigkeit und hadert mit der Vergänglichkeit.
Wer Musik machen will, die Gehör finden, die Menschen wirklich berühren soll, muss lernen loszulassen. Wer jenseits der 25 noch Rappen will, dem sei das Gleiche empfohlen. Sich an irgendwelche Klischees und grosse Vorbilder zu klammern, kann sowieso nicht lange gutgehen. Dass man sich ab und zu an etwas festhalten sollte – und sei’s nur eine Schoggimilch – dazu kommen wir später noch. Manuel Liniger, 28, besser bekannt als Manillio, hat schon mit seinem ersten Album «Jede Tag Superstar» aus dem Jahr 2009 eine ganz eigene Linie vorgespurt. Oder sagen wir mehrere: Irgendwo zwischen coolem Grossstadt-Duktus und Kleinstadt-Stolz, zwischen Sonnenbrillenträger und durch-die-Nebelwand-Wanderer, irgendwo zwischen nachdenklichem Poet und Rapper ohne Furcht und Tadel waren seine spektakulär rhythmisierten Zeilen und Silben – manchmal langgezogen wie der Käse an der Fonduegabel – schon damals. «Irgendwo» setzte dann 2013, nach einer intensiven Phase im Verbund mit seiner Crew, der Battlerap- und Wortspiel-Scharf- und Tiefschützen von Eldorado FM, ein noch klareres Zeichen: Hier ist jemand bereit, Mundartrap für sich selber neu zu definieren. «Irgendwo», eingestiegen auf Platz 6 der Schweizer Albumcharts, war wie ein Film aus zusammengesetzten Momentaufnahmen. Ein Bericht aus einer Zeit zwischen den Zeiten. Ein nachdenklicher, hochmodern produzierter Generationsblick aus dem Zugfenster.
Auf seinem Drittling «Kryptonit» steckt der Solothurner mit Zürcher Wohnsitz die Grenzen nochmals viel, viel weiter ab. Das Album, grösstenteils produziert von seinen Hausproduzenten Sir Jai und Ruck P, ist mal sattes Rap-Statement, mal pures Entspannungsgefühl, mal Wut und Anspannung, mal Kontemplation, oft Reflektion, immer wieder auch Parabel. Aber statt sich in dieser auch musikalisch vollzogenen Vielseitigkeit zu verlieren, findet er dadurch mehr zu sich, wie es scheint. Es ist in seiner Vielseitigkeit und Verschiedenheit ausgesprochen rund. Das Album beginnt mit einem Anflug von Indie-Folk, leiht sich zwischendurch von Kanye West die Basstöne («808’s und Härzchriesi») und endet mit Gitarre, Gesang und Streicherklängen. Viel weiter kann man die Soundpalette gar nicht ausweiten. Im Stück «Monbijou» zählt er zu beschwingtem, wolkigem Electropop und einer herrlich naiven 80er-Jahre-Synthiemelodie, wo man überall festhalten kann: eben an einer Tasse Schoggimilch, einem Glas Bordeaux, am Smartphone, an Whiskeyflaschen, an den Ratschlägen des Psychologen. Doch er, Manuel, Manillio oder Neezy, wie ihn die Szene nennt, hält sich am Liebsten an seiner Auserwählten und klingt dabei genauso souverän und cool, als hätte er gerade in einem saftigen
Battlerap-Text einen Kontrahenten vernichtet.
Gleichzeitig beherrscht Manillio etwas, was nur wenige beherrschen. Er kann ein Thema skizzieren, sich ihm annähernd, einen Rahmen für eine Geschichte bilden, ein Haus so möblieren, dass sich jeder selber darin zurechtfindet. Oder anders gesagt: Er malt Bilder, die jedem seine Deutung lassen, in jedem leicht andere Assoziationen wecken. Wir sind nun irgendwie wieder beim Anfang angekommen, beim Loslassen. Vielleicht dem
grossen Thema auf «Kryptonit». Loslassen muss nicht nur können, wer Musik auf allgemeingültigem Niveau zu machen plant. Jeder muss es können. Es gehört zu unserem Leben. Keine Umarmung dauert ewig, auch kein Kuss, keine Partynacht, kein Kater, kein Gefühl. Auch die Bewunderung für die Leichtigkeit mit der die Herzensdame die Welt anpackt (vertont im Stück «Wie Sie») hält womöglich nicht an. Leider. Die Vergänglichkeit ist unsere Achillessehne. Sie ist das, was für die Superhelden das «Kryptonit» ist. Denn auch all unsere Helden werden irgendwann verschwinden – genau so, wie jeden Tag von neuem die Unschuld und Gelassenheit verschwindet, wenn uns Smartphone und Computer in die Arme der Verpflichtungsmaschine des Alltags treiben.
Manillio hat dazu gemeinsam mit Büne Huber von Patent Ochsner den wunderschönen Song «Aues Gloge» geschrieben und eingesungen. Und einfach mal komplett losgelassen.

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